Agilität in der Praxis – Wie Projekt-Governance auf hybride Vorgehensweisen reagiert

Projekte werden zunehmend agil durchgeführt oder mit agilen Anteilen, dieses Vorgehen wird „hybrid“ genannt. Für jedes Projekt ist die bewusst gestaltete und gelebte Projektsteuerung durch die Führungskräfte einer Organisation – die Projekt Governance - ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Projektarbeit.

Während wir im Blog bereits theoretische Ansätze dazu vorgestellt haben, liefert eine Studie aus 2024 der deutschsprachigen Projektmanagement-Gesellschaft nun Einblicke in die Praxis: Wie gut gelingt die Anpassung der Governance an agile Methoden wirklich?

Ebenen der Governance: Einzelprojekt-Management, Einzelprojekt-Governance und Projektportfolio-Governance

Projekt Governance umfasst die gesamte Projektsteuerung und beinhaltet damit folgende drei Ebenen:

  1. Management des Einzelprojektes: Strenggenommen ist dies keine primäre Governance-Aufgabe, sondern Projektmanagement-Aufgabe, muss aber in der Governance jedes Projektes von den Führungskräften mitverantwortet werden.
  2. Einzelprojekt-Governance: Diese Steuerungsebene wird typischerweise durch Lenkungsausschüsse (oft auch Steering Committees genannt) wahrgenommen. Sie übernehmen überwachende, steuernde und richtungsgebende Funktionen für das jeweilige Projekt.
  3. Projektportfolio-Governance: Diese höchste Ebene der Governance bezieht sich auf die unternehmensweite Koordination und Steuerung aller Projekte. Sie erfolgt in der Regel durch eigens eingerichtete Gremien und Prozesse. Im Gegensatz zu den anderen beiden Ebenen ist die Projektportfolio-Governance dauerhaft angelegt und nicht an die Laufzeit einzelner Projekte gebunden.

Wie zeigt sich Agilität in der Projekt Governance

Agilität in der Projekt-Governance zeigt sich durch eine Reihe von charakteristischen Haltungen und Praktiken, die stärker auf Flexibilität, Eigenverantwortung, iteratives Vorgehen und Anpassungsfähigkeit setzen im Gegensatz zu traditionellen, oft stärker hierarchischen und planungsgetriebenen Ansätzen. Basierend auf der explorativen Untersuchung von Taborda et al. (2021) lassen sich folgende agile Tendenzen in den genannten Aspekten identifizieren:

Projektbezogene Governance (Einzelprojekte):

Führungsstil und Kultur

  • Agile Ausprägung: Selbstorganisierte, autonome Teams mit einem unterstützenden, dienenden Führungsstil („Servant Leadership“).
  • Kontrast zu traditionell: Autoritärer Führungsstil mit klarer Hierarchie und zentralisierter Entscheidungsfindung.

Kaufmännische und Compliance-Aspekte

  • Agile Ausprägung: Betonung von Zusammenarbeit und Vertrauen gegenüber starrer Vertragsbindung. Ziel ist ein partnerschaftliches Verhältnis mit Kunden und Stakeholdern.
  • Kontrast zu traditionell: Fokus auf detaillierte, vertragliche Vereinbarungen als Basis der Zusammenarbeit.

Zeithorizont

  • Agile Ausprägung: Kurzfristige Wertschöpfung durch iterative Inkremente, wobei Feedbackzyklen und schnelles Lernen im Vordergrund stehen.
  • Kontrast zu traditionell: Orientierung an langfristigen Zielen mit selteneren Überprüfungen des Nutzens.

Lösungsweg

  • Agile Ausprägung: Flexible Anpassungen des Lösungswegs im Verlauf des Projekts – emergente Lösungen, Offenheit für Veränderung.
  • Kontrast zu traditionell: Feste Vorgaben und detaillierte Planung im Voraus mit geringer Änderungsflexibilität.

Projektportfolio-Governance:

Management-Ebene

  • Agile Ausprägung: Steuerung erfolgt stärker auf Projekt-Ebene, konzentriert darauf, diese mit ihren spezifischen Anforderungen umzusetzen
  • Kontrast zu traditionell: Planung und Verwaltung eines Projekt-Portfolios

Strategische Ausrichtung

  • Agile Ausprägung: Orientierung an einer sich dynamisch entwickelnden Strategie, die flexibel an Marktveränderungen und neue Erkenntnisse angepasst wird.
  • Kontrast zu traditionell: Festlegung einer langfristigen Strategie mit starrer Umsetzung.

Status Quo Agile – Einzelprojekt-Management und -Governance

Überraschend ist angesichts der „Hype“ für agile Ansätze, dass der Anteil von Projekten, die agil oder eher selbstorganisiert/agil durchgeführt werden, nur 35% umfasst, gegenüber 65% plangesteuert oder eher plangesteuert durchgeführten:

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Abb1: Anteil plangesteuerter vs. agiler Arbeitsweise im Projekt (n=104 Antworten) - (Quelle: Auswertung aus SurveyMonkey)

 

Nicht weiter überraschend ist, dass zwar auch materielle Produkte in agilen Ansätzen entwickelt werden, häufiger aber werden diese für immaterielle Produkte eingesetzt.

Die oben genannten Aspekte können weitestgehend bestätigt werden: Wo Projekte oder Projektsteuerung als agil eingeschätzt werden, ist der Führungsstil auch selbstorganisiert, es wird auf Zusammenarbeit und Vertrauen gesetzt, der Lösungsweg flexibel beschritten. Zielvorgaben kommen allerdings „von oben“ und werden eher als langfristig verstanden.

Auch für die Einzelprojekt-Governance gibt es vergleichbare Zusammenhänge für den Führungsstil und die kaufmännischen und Compliance Aspekte. Beim Zeithorizont gibt es allerdings die Wahrnehmung, dass gegenüber dem Einzelprojekt-Management etwas mehr auf kurzfristige Wertschöpfung ausgerichtet gearbeitet wird.

Status Quo Agile Projektportfolio-Governance

Für die Mehrheit der Projekte erfolgt die Lenkung auf der Projektebene. Zudem zeigt sich: Wenn es eine Projekt-Governance-Ebene im Unternehmen gibt – das gilt nicht für alle befragten Organisationen – dann dominiert dennoch eine Lenkung der Projekte auf Projekt-Ebene, die Portfolio-Ebene spielt dabei weniger eine Rolle. Beides würde für eine agile Vorgehensweise sprechen.

Anderseits wird die Mehrheit der Projekte top-down entlang einer Strategie priorisiert und ausgewählt. Die Projektportfolio-Ebene ist vor allem für Auswahl und Priorisierung zuständig, die Abwicklung selbst wird dann an die Projekte übergeben. Die Unterscheidung zwischen agil und planbasiert verläuft damit nicht alleine entlang der Ebenen, sondern auch entlang des Projeklebenszyklus: Die Governance in der Projekt-Vorphase auf Portfolio-Ebene ist planbasierter als die spätere Abwicklung auf der Ebene des Projektes.

Governance-Praxis folgt Projektmanagement-Praxis???

Hier können wir aktuell eher mit einem „Nein“ antworten.

Die Arbeitsweise innerhalb der Projekte ist überwiegend selbstorganisiert und damit agiler Natur. Auf der Ebene der Projekt-Governance sowie der Projektportfolio-Governance dominiert hingegen ein plangesteuerter Ansatz. Zwischen diesen beiden Governance-Ebenen bestehen dabei keine wesentlichen Unterschiede.

Insgesamt ist die Praxis der Projekt-Governance noch stark durch klassische, plangetriebene Steuerungsmechanismen geprägt. Die agile Transformation ist auf den höheren Steuerungsebenen bislang nur in Ansätzen erkennbar und noch nicht weit fortgeschritten. Eine mögliche Ursache hierfür könnte in fehlenden etablierten agilen Steuerungspraktiken bei den verantwortlichen Führungskräften liegen.

Status Quo Agile Projekt Governance – Vorschläge für die agile Transformation

Auch Governance-Gremien wie ein Steering Committee oder ein Gremium für die Projektportfolio-Governance könnten agile Praktiken verwenden wie etwa:

1. Gremien-Sitzungen ereignisgetrieben
Gremien treffen sich nicht nach festen Kalenderintervallen, sondern anlassbezogen, z. B.:

  • Am Ende eines Sprints
  • Bei Produktinkrementen oder wichtigen Entscheidungen
  • Im Rahmen eines Sprint-Reviews zur Abnahme oder Feedbackrunde

2. Gremien-Zusammensetzung ereignisgesteuert
Die Teilnehmenden variieren je nach Anlass, gesteuert durch eine zentrale Rolle wie den Product Owner:

  • Beteiligung derjenigen, die direkt vom Thema betroffen sind
  • Möglichkeit zur Einbindung von Stakeholdern, Experten oder Usern

3. Gremien-Berichte mit Boards
Informationstransparenz über digitale oder physische Boards:

  • Visualisierung des aktuellen Arbeitsstandes (z. B. Kanban- oder Scrum-Board)
  • Fortschritt und Hindernisse sind für alle Beteiligten sichtbar

4. Gremien-Sitzungen als kurze Standup-Meetings
Effiziente, fokussierte Kurzformate (z. B. Daily Standup):

  1. Dauer: max. 15 Minuten
  2. Ziel: schneller Austausch über Fortschritt, Hindernisse und nächste Schritte

Eine agile Portfolio-Steuerung birgt weitere Herausforderungen. Traditionelle Portfolio-Management-Ansätze wählen Projekte nach der Strategie-Passung und langfristig im Voraus bestimmtem Mehrwert aus. Das ist möglicherweise nicht agil genug, um mit schnellen Veränderungen und unvorhergesehenen Risiken Schritt zu halten – genau das ist in den beiden Fragen zur Projektportfolio-Governance thematisiert. Auch dafür gilt es Praktiken zu finden, die es ermöglichen,

  • Regelmässige Prüfung neu entstehender Business-Chancen sowie Bewertung ihres Potenzials zur strategischen Weiterentwicklung.
  • Flexibler Ressourceneinsatz durch vorhandene Budget-Puffer, um vielversprechende Chancen kurzfristig ergreifen zu können.
  • Ermöglichung schneller Entscheidungsprozesse, um zeitnah Anpassungen am Projekt-Portfolio vornehmen zu können.
  • Kontinuierlicher Review- und Retrospektivprozess zur Optimierung der Portfolio-Steuerung und zur Förderung einer lernenden Organisation.

Die Umgestaltung der Projekt-Governance erfasst grosse Bereiche der Organisation und ist entsprechend komplex und langfristig angelegt. Wir haben hierzu den aktuellen Stand ermittelt.

An dieser Stelle sei allen Fachgruppen-Mitgliedern, die an der Entwicklung der Befragung mitgewirkt haben, ein herzlicher Dank ausgesprochen, und allen Teilnehmern an der Befragung ebenso.

Autorin: Dorothee Feldmüller 
Co-Autor: Stefan Pedevilla