Resilienz im Projektmanagement: Definition, Bedeutung und Governance
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Resilienz wird im Projektmanagement zunehmend als Schlüsselkompetenz hervorgehoben. Die International Project Management Association (IPMA) definiert Resilienz als „projektweite menschliche Fähigkeit, Schlüsselergebnisse auf Basis sich abzeichnender Trends vorauszusehen und darauf zu reagieren“ (IPMA, 2020). Das Project Management Institute (PMI) beschreibt sie als „the ability to recover from or adjust easily to misfortune or change“ (PMI, 2021). Psychologisch verstanden bezeichnet Resilienz die „prozesshafte Anpassung an schwierige oder belastende Lebenserfahrungen durch mentale, emotionale und verhaltensbezogene Flexibilität“ (Kalisch et al., 2014).
Wirtschaftlicher Hype und empirische Belastungsstudien
Parallel zur fachlichen Verankerung hat sich „Resilienz“ zu einem Marketing-Buzzword entwickelt. So propagiert die Resilienz-Akademie, Agilität und organisationale Resilienz seien „Zukunftskompetenzen, um Unternehmen in der VUCA-Welt stark und erfolgreich zu machen“ (Resilienz-Akademie, 2025). Tatsächlich belegen Studien die steigende psychische Belastung in Projekten: Eine Analyse der GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement dokumentiert, dass die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen zwischen 2010 und 2014 um 165 % zugenommen haben. 25 % der Befragten fühlen sich überfordert und 33 % an ihrer Leistungsgrenze (GPM, 2014). Eine gemeinsame Studie von KPMG Australien und dem Australian Institute of Project Management betont zudem den wachsenden Wettbewerbs- und Termindruck, der die Anforderungen an Projektverantwortliche kontinuierlich verschärft (KPMG & AIPM, 2021).
Resilienz in komplexen Vorhaben unverzichtbar
Nicht jedes Projekt profitiert gleichermassen von Resilienzmassnahmen. Das Cynefin-Modell unterscheidet vier Kontext-Domänen – einfach, kompliziert, komplex und chaotisch – und empfiehlt jeweils angepasste Vorgehensweisen (Snowden & Boone, 2007):
- Einfach: Klare Ursache-Wirkungs-Beziehungen; Muster „beobachten – kategorisieren – reagieren“.
- Kompliziert: Analysierbare Vielschichtigkeit; Muster „beobachten – analysieren – reagieren“.
- Komplex: Emergenz und Unvorhersehbarkeit; Muster „probieren – wahrnehmen – reagieren“.
- Chaotisch: Keine erkennbaren Muster; Muster „handeln – wahrnehmen – reagieren“.
Resilienz entfaltet ihre grösste Wirkung insbesondere in komplexen Projekten, da dort kontinuierliches Experimentieren und adaptives Lernen über den Projekterfolg entscheiden.
Parabel des Truthahns und reales Beispiel Fukushima
Nassim N. Taleb veranschaulicht in The Black Swan die Grenzen der Resilienz anhand eines Truthahns, der täglich gefüttert wird und daher schlussfolgert, Fütterung sei die Regel des Lebens – bis ihn kurz vor Thanksgiving das Unerwartete trifft (Taleb, 2007). Ein reales Pendant lieferte die Katastrophe von Fukushima 2011: Die Schutzmauern wurden an historischen Tsunami-Höhen von rund 6 m bemessen, während der Tsunami Wellen von bis zu 15 m Höhe erzeugte und die Anlage ungeschützt traf (World Nuclear Association, 2012). Beide Fälle zeigen, dass Resilienz nur so wirksam ist wie die zugrunde liegenden Annahmen über Extrembelastungen.
Empirische Kritik am Resilienz-Allheilmittel
Andreas Nachbagauer (FH bfi Wien) fand in einer Untersuchung keine systematischen Zusammenhänge zwischen Merkmalen resilienter Organisationen und deren Fähigkeit, das Unerwartete erfolgreich zu bewältigen (Nachbagauer, 2019). Resilienzkompetenzen sind demnach hilfreich, aber keine Erfolgsgarantie.
Resiliente Projekt-Governance
Projekt-Governance ist laut PMBOK® Guide eine Steuerungsfunktion, die mit dem Governance-Modell der Organisation ausgerichtet ist und den Projektlebenszyklus umfasst (PMI, 2021). Sie stellt sicher, dass Projekte strategisch ausgerichtet, Risiken kontrolliert und Verantwortlichkeiten geklärt sind.
Merkmale resilienter Governance-Frameworks
- Adaptive Rollen und Entscheidungsprozesse
Dezentralisierte Befugnisse und klare Eskalationspfade ermöglichen schnelle Reaktionen auf Störungen. - Dynamisches Risikomanagement
Verwendung von Echtzeit-Daten und variablen Risikoschwellen, um unvorhergesehene Bedrohungen früh zu erkennen und skaliert zu bekämpfen. - Kontinuierliche Überwachung und Lernen
Feedback-Schleifen und Lessons-Learned-Prozesse in allen Governance-Meetings sorgen für permanente Optimierung. - „Safe-to-Fail“-Probes in komplexen Umgebungen
Kleine Experimente ohne katastrophale Folgen werden erlaubt und systematisch ausgewertet (Snowden, 2002). - Stakeholder- und Kommunikationsmanagement
Transparente Informationsflüsse und Eskalationskanäle erhöhen die kollektive Situationswahrnehmung und ermöglichen abgestimmte Krisenreaktionen.
Lenkungsausschuss als Strategic Resilience Board
Ein resilienter Lenkungsausschuss plant vorausschauend mit Frühwarnindikatoren, hält Ressourcenpuffer für kritische Arbeitspakete vor und führt regelmässige Resilience-Audits zur Wirksamkeit der Massnahmen durch.
Fazit
Resilienz ist im Projektmanagement keine universelle Lösung, sondern eine domänenspezifische Kompetenz: In komplexen Vorhaben mit emergentem Verhalten ist sie unverzichtbar, während in einfachen oder komplizierten Projekten klassische Planung und Fachwissen ausreichen. Eine resiliente Projekt-Governance integriert adaptive Strukturen, dynamisches Risikomanagement und kontinuierliches Lernen, um Projekte auch angesichts unvorhersehbarer Extremereignisse handlungsfähig zu halten.