Erwartungen an Projekt-„Gouvernanten“: Was erwarten Projektteam, Lenkungsausschuss und Geschäftsleitung voneinander?
- Dorothee Feldmüller's Blog
- Anmelden, um Kommentare verfassen zu können
Projekt Governance legt fest, wie eine Organisation Projekte initiiert und steuert und leistet dadurch einen entscheidenden Beitrag zum Projekterfolg. Die wesentlichen Akteure sind dabei die Führungskräfte der Organisation(en), angefangen bei der Geschäftsleitung, die in der Regel im und für ein Projekt verantwortliche Führungskräfte in einen Lenkungsausschuss entsendet, an den das Projektteam und seine Projektleitung berichtet.
Das Zusammenspiel dieser Akteure lässt sich in Anlehnung an die Darstellung im PM² Methodology Guide der Europäischen Kommission wie folgt darstellen:
Die Abbildung verdeutlicht, dass ein Projekt-Lenkungsausschuss in einer Sandwich-Position ist: Die Mitglieder sind der Geschäftsleitung oder einem benannten „Governance Gremium“ verantwortlich, und sind mit Entscheidungsbefugnissen gegenüber Projektteam und Projektleitung ausgestattet. Von beiden Seiten gibt es Erwartungen an die Mitglieder des Projekt-Leitungsausschuss, natürlich habe die Mitglieder auch Erwartungen in beide Richtungen.
Was erwartet eine Geschäftsleitung bzw. ein Governance Gremium vom Projekt-Lenkungsausschuss?
In einer Gruppe von Experten ist dazu eine Zusammenstellung erarbeitet worden, die nachfolgend vorgestellt wird:
-
Der Lenkungsausschuss trägt die Verantwortung für den Erfolg des Projektes, d.h. die Realisierung des Business Case. Dazu muss der Lenkungsausschuss alle notwendigen Maßnahmen ergreifen und gemeinsam mit dem PM und dem Projektteam umsetzen (Punkt LA01 in der unten anliegenden Checkliste bzw. Übersicht).
-
Der Lenkungsausschuss stellt sicher, dass kompetente Ressourcen für das Projekt in allen notwendigen Fachdisziplinen und ausreichendem Umfang bereitgestellt werden. Dies schließt das Projektmanagement und die Projektausstattung mit Sachmitteln und geeigneten Räumen mit ein. Die Ressourcen stehen für die erforderliche Aufgabe im Projekt zur Verfügung und werden im Bedarfsfall angepasst (LA02)
-
Das Governance Gremium erwartet ferner vom Lenkungsausschuss, dass er das Projekt unterstützt (z.B. bei der Lösung von gravierenden Problemen), damit es die geplanten Ergebnisse erreicht und die im Business Plan genannten Ziele realisieren kann. Der Lenkungsausschuss soll auch die Stakeholder-Kommunikation unterstützen und dafür sein eigenes Netzwerk effektiv nutzen (LA02).
-
Das Projekt-Team muss ein klares Controllingkonzept für die Hauptthemen Kosten, Zeit und Qualität aufsetzen und je nach Projektgröße entsprechende erfahrene Ressourcen ins Team integrieren, ein Change Management und evtl. Contract und Claims Management ergänzt dies. Der Lenkungsausschuss überwacht, dass dies umgesetzt wird (LA03).
-
Der Lenkungsausschuss informiert das Governance Gremium rechtzeitig, unaufgefordert und in angemessenem Detaillierungsgrad über das Projekt, zunächst über die Projektplanung, des Weiteren über den jeweiligen Status und wesentliche Abweichungen im Projektverlauf (LA04).
-
Insbesondere informiert der Lenkungsausschuss das Governance Gremium über sich abzeichnende, relevante Abweichungen bzgl. des zugrundeliegenden Business Case auf Grund der Projektabwicklung (LA05).
-
Das Governance Gremium sollte sicherstellen, dass die Aufgabenstellung (z.B. über Business Case ) im Lenkungsausschuss verstanden ist. Etwaige Änderungen und deren Einfluss auf die Projektziele sollten bilateral klar kommuniziert und entschieden werden (LA06).
Selbstredend hat auch der Lenkungsausschuss Erwartungen an das Governance Gremium.
Diese lauten etwa wie folgt:
-
Der Business Case sollte zur Strategie der Organisation konform definiert sein und als Auftrag an den Lenkungsausschuss vom Governance Gremium erläutert werden. Dieser ist die Grundlage für den Projektauftrag. Empfehlung: den Business Case beidseitig zu unterschreiben. Änderungen an der Strategie müssen zu einer Überprüfung des Business Case führen (GG01).
-
Abweichungen vom Business Case oder die Notwendigkeit für den Abbruch werden transparent gemacht. Daraus resultierende Entscheidungen, das Projekt zu sistieren oder abzubrechen, liegen in der Verantwortung vom Governance Gremium (GG02).
-
Eine weitere Erwartung an das Governance Gremium für das Projekt ist, die Mitglieder des Lenkungsausschuss schnell zu benennen, damit diese ihre Rolle wahrnehmen und das Projekt starten können (GG03).
-
Der Lenkungsausschuss ist vom Management ermächtigt, das Projekt im Sinne der Geschäftsziele zu steuern und es zu unterstützen. Das Governance Gremium mischt sich nicht unaufgefordert bzw. ohne Not in die operative Projektführung ein, es betreibt kein Mikromanagement, weder in Lenkungsausschuss- noch in Projekt-Funktionen (GG04).
Es tut der Zusammenarbeit gut, solche Erwartungen sich gegenseitig klar zu machen, und zum Start auch darüber zu sprechen, um ein gegenseitiges Verständnis der Rolle sicherzustellen.
Die hier dargestellten Rollen sind bei großen Projekten in der Regel sichtbar und explizit, bis dahin, dass sich eine Geschäftsleitung persönlich mit dem Projekt befasst. Auch bei kleinen und mittleren Vorhaben sind sie implizit da, und auch diese sollten in dem gleichen Verständnis gelebt werden.
Welche Erwartungen hat ein Projekt-Lenkungsausschuss an die im Projekt direkt Tätigen, das Projektteam und die Projektleitung und umgekehrt?
Bislang wird hier „nach oben“ geschaut – wie sieht der Blick „nach unten“ aus?
Hier ist ein Vorschlag zu den Erwartungen „von unten“ an die Mitglieder des Projekt-Lenkungsausschuss:
-
Ein Business Base (BC) kann vorgegeben werden oder vom Team (weiter-) entwickelt werden. Daher ist es für die Projektleitung essentiell und für die Planung und Steuerung des Projekts wichtig, den Inhalt des Business Case und besonders die Ziele, angestrebten finanziellen Ergebnisse und enthaltenen Annahmen zu kennen. Die Annahmen im BC sind oft Punkte für die Risikoanalyse und das Risikomanagement. Prioritäten (z.B. bzgl. Qualität, Kosten, Zeit, Sicherheit) sollten in den ersten Meetings klar kommuniziert werden und Konsequenzen offen dargelegt werden und in den Folgemeetings jeweils bestätigt werden. Empfehlung: Review von BC und Prioritäten als festen Agendapunkt in die Meetings des Lenkungsausschuss aufnehmen und Ergebnisse klar in Protokollen festhalten (LA07).
-
Der LA stellt sicher, dass kompetente Ressourcen für das Projekt in allen notwendigen Fachdisziplinen und ausreichendem Umfang bereitgestellt werden. Dies schließt das Projektmanagement mit ein. Die Ressourcen stehen für die erforderliche Aufgabe im Projekt zur Verfügung und werden im Bedarfsfall angepasst (alternativ der Projektumfang). Die Linienorganisation bleibt verantwortlich die jeweilig abgestellten Ressourcen zu befähigen, ohne jedoch in das Projekt einzugreifen (LA08).
-
Die Mitglieder des Lenkungsausschuss haben ein der Komplexität des Projektes entsprechendes Verständnis von Projektmanagement. Sie kennen die Unterschiede zwischen dem Tagesgeschäft, das über meist standardisierte Geschäftsprozesse abgewickelt wird und Projekten mit den häufig spezifischen Vorgehensweisen, ebenso den Unterschied zwischen Linien- und Projektmanagement. Die spezifischen Verfahren des Projektmanagements zur Planung, Steuerung und Kontrolle eines Projektes sind den Personen im Lenkungsausschuss bekannt, idealerweise aus eigener Erfahrung. Am Beispiel Berichtswesen: Projektleitung und Lenkungsausschuss vereinbaren einen Umfang des Berichtswesens, der möglichst wenig Aufwand für das Projektteam verursacht, aber die erforderlichen Informationen für den Lenkungsausschuss bereitstellt (LA09).
-
Der Lenkungsausschuss versteht die Abhängigkeiten zwischen Projektumfang, Kosten und Dauer. Es schützt den Projektumfang vor Änderungswünschen und Begehrlichkeiten, die im Projektverlauf entstehen, weiß aber auch berechtigte Änderungsbedarfe im Sinne der künftigen Nutzer der Projektleistung zu erkennen. Entscheidungsgrundlage dafür ist der Business Case und die angestrebte Funktionalität. Der Lenkungsausschuss ist in der Lage, Akzeptanz auf allen Seiten für die (Nicht-) Anerkennung von Änderungsanliegen zu schaffen. Empfehlung: Änderungen nur über definiertes Änderungsverfahren mit Kosten-/Nutzen-Betrachtungen und (mindestens) Lenkungsausschuss-Beschluss und Festhalten im Protokoll (LA10).
-
Form, Inhalte und Frequenz einer regelmäßigen Kommunikation werden zwischen Projektteam/Projektleitung und Lenkungsausschuss vereinbart, und zwar beidseitig. Dies ist wichtig, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Der Lenkungsausschuss hat eine Bringschuld für Informationen über Business Case, gute und schlechte Nachrichten zum Projekt, sowohl intern als auch extern. Schlechte Kommunikationspraxis wäre z.B. eine Verlautbarung des Lenkungsausschuss wie "Ihr könnt uns ja informieren, wenn Ihr ein Problem habt. Sonst brauchen wir uns nicht zu treffen." (LA11).
-
Die Mitglieder des Lenkungsausschuss haben eine offene Tür und ein offenes Ohr für die Projektleitung. D.h. über die regelmäßigen Treffen des Lenkungsausschusses hinaus nehmen sich die Mitglieder des Lenkungsausschuss Zeit für die Projektleitung und ihre Anliegen (LA12).
-
Zielsetzungen werden vom Lenkungsausschuss an Projektleitung/Projektteam mit Blick auf die Geschäftsziele kommuniziert ohne dort ungesunden Druck zu erzeugen. Rückmeldungen aus Projektleitung/Projektteam sowie schlechte Nachrichten oder Fehler können angstfrei an den Lenkungsausschuss berichtet werden. Es sollte ein lösungsorientiertes Umfeld geschaffen werden. Empfehlung: regelmäßiges Feedback aus dem Projektleitung/Projektteam einholen, z.B. auch mit Unterstützung eines Coaches (LA13).
-
Der Lenkungsausschuss soll die festgelegten Verantwortungen wahrnehmen und das Team unterstützen, indem es ein Umfeld von vertrauensvoller Zusammenarbeit schafft. Der Lenkungsausschuss sollte nicht in das Tagesgeschäft eines Projekts eingreifen, sondern das Team befähigen die Aufgaben zu erledigen. Empfehlung auch hier: Feedback einholen (LA14).
-
Kontakte zu Teammitgliedern sollte immer in Absprache oder Kenntnis der Projektleitung erfolgen; somit wird den Teammitgliedern klar signalisiert, dass der Lenkungsausschuss eng mit der Projektleitung abgestimmt ist und Informationen oder Kritiken offen angesprochen werden. Die Projektleitung sollte einen Vertrauten im Lenkungsausschuss ansprechen, wenn sie der Meinung ist, dass relevante Kommunikation im Hintergrund ohne seine Kenntnis abläuft. Empfehlung auch hier: Feedback einholen (LA15).
-
Der Lenkungsausschuss bildet mit Projektleitung/Projektteam in gewissem Sinne eine Arbeitsgemeinschaft für das Projekt und fühlt mit dem daran arbeitenden Team und vor allem der Projektleitung. Er bringt mit seiner Vision Schwung in die Arbeit, erkennt geleistete Arbeit an oder fordert noch nicht geleistete angemessen ein und feiert Teilerfolge mit. Soweit der Lenkungsausschuss davon tangiert ist, nimmt er gefährliche Entwicklungen für das Projekt wie Arroganz, Vertrauensmissbrauch, Unfairness, Anschuldigungen oder Stimmungslagen im Umfeld wahr und unterstützt bei deren Überwindung. In besonderen Belastungssituationen weiß der Lenkungsausschuss die Projektleitung/Projektteam zu schützen und ggf. einen Teil auf sich selbst zu nehmen. Empfehlung auch hier: Feedback einholen (LA16).
-
Entscheidungen müssen angemessen vorbereitet werden, dürfen dann aber nicht verzögert werden. Von den Führungskräften im Lenkungsausschuss darf die Projektleitung/Projektteam erwarten, dass sie die Balance zwischen dem Untersuchungsdauer und -aufwand und dem Nutzen einer Untersuchung halten können und gerade in kritischen Situationen die Projektleitung/Projektteam nicht unnötig mit Untersuchungen belasten. Z.B. kann eine frühe nicht optimale Entscheidung für das Projekt im Ganzen besser sein als eine optimale spät gefällte. Differenzen zwischen den Lenkungsausschuss-Mitgliedern dürfen nicht zu Lasten des Projektes ausgetragen werden (LA17).
Und last but not least erwartet der Lenkungsausschuss von Projektleitung und Projektteam:
-
Auf Basis des Business Case und der Prioritäten formuliert das Team klare Projektziele nach dem SMART Konzept (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, in Time), evtl. auch Etappenziele. Das Team steht für diese Ziele ein (PL01).
-
Der Lenkungsausschuss erwartet von der Projektleitung, dass sie offene Stellungnahmen zu nicht realistischen Zielen erhält. Empfehlung: Review von Zielen als festen Agendapunkt in Lenkungsausschuss-Meetings aufnehmen und Ergebnisse klar in Protokollen festhalten (PL02).
-
Die Projektleitung/Projektteam informiert den Lenkungsausschuss rechtzeitig, unaufgefordert und in angemessenem Detaillierungsgrad über die Projektplanung einschließlich benötigter Ressourcen, Entscheidungen, Änderungsanträge und deren potentielle Auswirkungen, Abweichungen und deren Auswirkungen sowie Lösungsvorschläge, ebenso über Schwierigkeiten im Team. Empfehlung: Review von wichtigen Indikatoren und Stimmung im Team in Lenkungsausschuss-Meetings aufnehmen und Ergebnisse klar in Protokollen festhalten (PL03).
-
Besonders der Projektplanung zuwider laufende unvorhergesehene Ereignisse, die bedeutende Abweichungen nach sich ziehen können, werden so früh wie möglich transparent gemacht (PL04).
-
Projektberichte und Folien enthalten Informationen klar und deutlich, kritische Punkte sind leicht erkennbar. Die PL soll dabei auch die Stakeholder-Kommunikation führen (PL05).
-
Berichtet die PL/P-Team über notwendige Entscheidungen, Änderungsanträge oder Abweichungen, so werden dazu spätestens nach kurzer Frist Aussagen zu den Auswirkungen sowie Lösungsvorschläge und Empfehlungen mit Begründungen unterbreitet (PL06).
-
Projektberichte und Folien fordern notwendige Entscheidungen klar und deutlich ein (PL07).
In der Kürze liegt die Würze, hier ist die von der Expertengruppe - es handelt sich um die Fachgruppe „PM goes Boardroom“ - erarbeitete Zusammenstellung in der Überblicksform:
Und schon steht das Erwartungsmanagement für die Projektarbeit…
Enttäuschung ist das Ergebnis falscher Erwartungen – also sollten wir sie versuchen von vornherein richtig zu klären.