Das Projekt hat Verspätung - Wer ist „schuld“?

Der Zug hat Verspätung – ein großes Ärgernis für Reisende, die ihr Ziel wie geplant erreichen wollen. Meist hat weder der Zugführer noch das Board-Personal Schuld daran, und sie haben auch wenig Möglichkeiten, die Situation zu verbessern.

Das Projekt hat Verspätung. Die Projektleitung wird entlassen, das Projektteam gemahnt. Doch hätten sie die Verspätung überhaupt verhindern können?

Häufige Ursachen für Verspätungen sind ein ausufernder Projektumfang, dürre Ressourcen, aufwändiges Berichtswesen, verschleppte Entscheidungen… Angst vor Fehlern, Scheu zuzugeben, dass der Business Case sich nicht mehr rechnet.

Wer das hätte verhindern oder verbessern können, hat mehr zu sagen als eine Projektleitung, ist in einer auftraggebenden und steuernden Position. „Schuld“ ist auch eine solche Führungskraft nicht für sich alleine, „Schuld“ ist im steuernden Umfeld, wo die Verantwortung der Führungskräfte für die Projekte nicht wahr-genommen wird.

Viele Projektexperten sind sich einig, dass in der Governance für die Projekte noch eine Goldgrube für die Projektarbeit liegt: Die regelmäßigen Studien der Standish Group sowie einige Studien aus dem deutschsprachigen Raum belegen dies.

Nicht nur bei den Zügen, auch bei der Projektarbeit macht es die Schweizer Bundesbahn (SBB) den anderen vor: Projekt Governance müssen Führungskräfte trainieren, bevor sie Projekte steuern dürfen, und dann werden die Projekte mit einem besseren Verständnis für die Verantwortung in der Steuerung geführt. Das Vorgehen bei der SBB ist beschrieben in dem Artikel "Mehr PM Know-How für den Lenkungsausschuss" (siehe Materialien).

Die „Schuldfrage“ ist nie einfach zu beantworten – auch ein Training allein kann die komplexen Herausforderungen, die Projekte mit sich bringen, nicht beseitigen helfen. Beseitigt werden aber muss ein Denken, bei dem Projektleitung und Projektteam mit den Herausforderungen allein gelassen werden, bei dem Führungskräfte Zwistigkeiten auf dem Rücken von Projekt und Team austragen, statt das Projekt als gemeinsame Herausforderung an Projektteam und steuernde Führungskräfte zu verstehen, bei der alle an einem Strang ziehen müssen, damit es erfolgreich bewältigt werden kann.

Gemeinsam geht es besser. Und die Frage „Wer ist schuld?“ ist die letzte Frage, die ein gutes Team sich im Verspätungsfall stellt. „Wie holen wir die Verspätung herein?“ oder mindestens „Wie verhindern wir, dass es mehr Verspätung wird?“ muss die erste Frage lauten, und wenn die gelöst ist, kommt die nächste dran.

Wer die Schuldfrage stellt, fördert eine Kultur, in der aus Angst vor Fehlern Entscheidungen verschleppt werden oder ungünstige Entscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden – genau das, was alle gemeinsam vermeiden sollten. Weg mit der Schuldfrage! Dann könnte auch die Verspätung ausbleiben…

Züge fahren, PM goes Boardroom. „PM goes Boardroom“ ist der Name einer Fachgruppe von Projekt-Experten aus den deutschsprachigen Ländern, die an der Schnittstelle zwischen Projektmanagement (PM) und Unternehmensführung/General Management (GM) arbeitet. Die Gruppe hat sich folgende Ziele gesetzt:

  • Potentielle Problemfelder in der Zusammenarbeit zwischen PM und GM aus Sicht beider Seiten und ihre Auswirkungen erkennen, bewerten und Maßnahmen zur Verbesserung erarbeiten.

  • Zusammenwirken von GM und PM fördern

  • Wertschätzung für PM bei Top-Management erhöhen

  • Organisatorische Rahmenbedingungen für PM in Unternehmen verbessern.

Die Sicht im Maschinenraum/Projekt wie die Sicht am Steuer – es gilt, diese Sicht für die jeweils andere Seite verständlicher machen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Gemeinsam lassen sich Verspätungen verringern oder ganz verhindern.